Kubo-Oktaeder
nees-rase: architektur trifft frühe computerkunst
Aus der Zusammenarbeit des Architekten Ludwig Rase mit dem Computerkunst-Pionier Georg Nees
entstand nicht nur eine Reihe von Entwürfen für Systembauten, es entstand auch eine der bekanntesten frühen Computergrafiken mit architektonischem Bezug,
der »Kubo-Oktaeder«.
die anfänge: der computer in der architekturgestaltung
In den USA testete man den Einsatz des Computers in der Architektur bereits Ende der 1960er Jahre, zu den frühesten Beispielen zählen hier einige von
Richard Buckminster Fuller entworfene geodätische Kuppeln,
deren Stabstrukturen der Architekt Ron (Ronald) Resch seinerzeit mit Hilfe eines Computers berechnete und Varianten erstellte.
Die als Systembauten entwickelten Kuppelkonstruktionen kamen häufig im Messebau zum Einsatz.
In Deutschland wurde im Jahr 1970 mit dem Siemens-Messepavillon in Hannover der erste mit Hilfe des Computers entwickelte Bauplan realisiert.
Es handelte sich um eine auf Stützen ruhende, modulare Dachstruktur, ebenfalls ein Systembau. Architekt war Ludwig Rase, Georg Nees programmierte das zugrunde liegende Programm in ALGOL für die Siemens 4004 Rechenanlage.
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Der Messepavillon von 1970 auf einem Werbeplakat der Firma Siemens: Computer in der Baugestaltung.
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Georg Vrachliotis beschreibt den Entwurfsprozess in seinem Buch »Geregelte Verhältnisse«: »Nees, der hier nicht als Künstler,
sondern in der Rolle des technischen Spezialisten und Architekturassistenten im Gropiusschen Sinn fungierte, schrieb für Rase ein Computerprogramm,
mit dem sich die optimale Größe des Grundmoduls für das Dach berechnen ließ.
Der Clou des Programms bestand darin, dass Nees es schaffte unterschiedliche Varianten des Grundmoduls zu generieren und je nach Modulgröße ein entsprechendes
dreidimensionales Modell der Konstruktion des Pavillons zu errechnen. Zwar hatte Rase das übergeordnete Konzept bestimmt, das Design der einzelnen Varianten lag jedoch
jetzt nicht mehr in seiner Hand.«*
Der Computer trug damit wesentlich zur Gestaltfindung bei, so dass die Firma Siemens letztlich mit der Schlagzeile warb: »Siemens 4004 entwirft Messestand«.
Der mit dem Siemens System 4004 entworfene Pavillon für die Hannover Messe 1970 war als solches ein Werbeträger.
Dieser Einsatz des Computers bei der Lösung architektonischer Gestaltungsprobleme war zukunftsweisend für dessen Verwendung in der Architektur. An dem Systembau wird sein Einfluss auf die letztliche Baugestalt deutlich. Ludwig Rase nannte die drei wesentlichen Vorteile, die der Computer zum Designprozess beitrug: er ermöglichte eine höhere Systematik, half bei der Bewältigung struktureller Komplexität und ermöglichte eine deutlich höhere Anzahl von Entwurfsvarianten.
*Zitat aus dem Buch »Geregelte Verhältnisse: Architektur und technisches Denken in der Epoche der Kybernetik« von Georg Vrachliotis.
nees-rase: computerkunst trifft architektur
Außer dem Siemens-Pavillon für die Hannover Messe 1970 entwickelten Rase und Nees einen weiteren Messepavillon für die Deutsche Industrieausstellung in
São Paulo, 1971. Für diesen pyramidenförmigen Pavillon entstand bereits in der Entwurfsphase ein innovativer, mit Hilfe von Computergrafiken erstellter Film,
der den Bau vor der Fertigstellung zeigte.
1970/71 entwarf Ludwig Rase am Design-Institut München zudem eine modulare Wohn- und Stadtstruktur, deren Basismodul ein Kubo-Oktaeder,
auch Kuboktaeder genannt, ist. Siehe Wikipedia: Kuboktaeder.
Georg Nees schrieb auch hierfür die Programme.
Elemente dieses Strukturentwurfs wurden anlässlich der Internationalen Gartenbauausstellung Hamburg 1973 (IGA 1973) in
Form eines temporären Pavillons der Hamburger Elektrizitätswerke an der Marseiller Straße errichtet. (Die Bildstrecke zur IGA Hamburg 1973 ist leider nicht mehr online).
Das Modell der Wohnstruktur aus Kubo-Oktaedern.*
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Rases modulare Stadtstruktur.*
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Der Computer kam hier auch bei der Grundrissgestaltung zum Einsatz. Ludwig Rase beschreibt den Computereinsatz bei der der modularen Gesamtanlage so:
»Es ist nun die Aufgabe, diese Wohnelemente in der dem Raumprogramm günstigsten Form aneinanderzusetzen.
Die Lösung ist mit Hilfe eines Computers ermittelbar, wobei jede Raumeinheit verschiedene Funktionen erfüllen kann (...).
Die Programmierung dieser einzelnen Raumfunktionen erfolgt nach einem »atomaren Modell«.
Jede Raumeinheit wird als Atom betrachtet, das die verschiedensten Funktionen erfüllen kann; durch Verbindungswertigkeiten können mehrere Wohnteile aneinander angeschlossen werden (...). Die räumliche Anschauung, die bei einer solchen Planung erforderlich ist, überschreitet bei weitem das Vorstellungsvermögen des Entwerfers.
Mit Hilfe von Datenverarbeitungsanlagen können die richtigen Lösungen visualisiert und optimale Raumgruppen geschaffen werden.«*
Im Jahr 1972 gewannen Ludwig Rase (Gestaltung) und Georg Nees (Programmierung) den Wettbewerb eines »Kunst am Bau«-Projekts für das Werner-von-Siemens-Gymnasium in Regensburg. Die Freiskulptur »Kubo-Oktaeder«, ein Mero-Gerüst aus Kubo-Oktaeder-Modulen, ist mittlerweile weiß gestrichen, noch im Theaterhof der Schule zu sehen.
*Zitat und Abbildungen aus Ludwig Rase: Computerdesign für Raum und Fläche. In: NOVUM Gebrauchsgraphik August 8/1972
die grafik: kubo-oktaeder
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Ludwig Rase, Georg Nees: Kubo-Oktaeder
Siebdruck zur Ausstellung »computer art« Kunsthalle Hamburg 1972/73
Siebdruck nach Plotterzeichnung, 1972
Idee: Georg Nees, Ludwig Rase
Programm: Georg Nees
Generiert 1968-1970**, vermutlich in München
Programmiert in ALGOL für
Siemens 4004 (laut Bez. im Druck),
gezeichnet mit ZUSE-Graphomat Z64
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Dieser Siebdruck mit der Computergrafik »Kubo-Oktaeder / Cubo-Octaeder« entstand 1972 anlässlich der Ausstellung »computer art.
nees rase.«, die zwischen 29.9.1972 und 14.1.1973 in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wurde.
Das Motiv beruht auf einem Kunstprojekt von Rase und Nees und stellt "den harmonischen Zusammenklang der humanistischen und der naturwissenschaftlichen Welt"*** dar.
Es besteht aus zwei Elementen: Einem menschlichen Körper in zwei Ansichten und einer architektonischen Struktur.
Bei der Darstellung des menschlichen Körpers handelt es sich um eine Proportionsstudie von
Albrecht Dürer,
die Rase und Nees hier als Symbol für die humanistische Welt zitien.
Die Figur ist einmal frontal und einmal seitlich dargestellt, dabei werden die entsprechenden konstruktiven Hilfslinien sichtbar gelassen, die auf einer jeweiligen Mittelachse die Lage der gezeichneten Körperlinien markieren.
Die Körperstudie steht neben einer Struktur aus aneinandergereihten und sich überlagernden Kubo-Oktaedern, die als Zeichen für die naturwissenschaftliche Welt stehen.
Die Darstellung der Kubo-Oktaeder, die für diese Grafik benutzt wurde, ist die gedrehte, durch einen Computer erzeugte Isometrie der von Ludwig Rase entworfenen Wohnstruktur.
**Der Ausstellungskatalog »Ex Machina« gibt den Entstehungszeitraum der Grafik mit 1968-1970 an, und
zitiert Georg Nees, nach dem diese ursprünglich mit einem Siemens-Digitalrechner 2002 generiert wurde.
***Ludwig Rase: Computerunterstützter Entwurf von Raumstrukturen. In: Apparative Kunst, herausgegeben von Herbert W. Franke und Gottfried Jäger, 1973
zu den personen
Ludwig Rase (1925-2009)
Geboren 1925 in Nürnberg, Architekturstudium TU München 1945-51, Zusammenarbeit mit Georg Nees von 1969 bis 1973, Teilnahme an der Biennale in Venedig 1970, lebte und arbeitete in München.
Georg Nees (1926-2016)
Geboren in Nürnberg, Studium der Mathematik, der Physik und der Philosophie in Erlangen und in Stuttgart. Als Student bei Max Bense erste Ausstellung von Computerkunst in Stuttgart. 1969 (Ph.D.)
Doktorarbeit »Generative Computergraphik« bei Max Bense. Zusammenarbeit mit Ludwig Rase von 1969 bis 1973. Nees zählt zu den
Pionieren der Computerkunst, seine Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt.
Die Grafik »Kubo-Oktaeder« wurde bereits in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, unter anderem in:
»computer art. nees rase.«, Hamburger Kunsthalle, 29.9.1972 - 14.1.1973
»tendencies 5« Sektion: Computer Visual Research, MSU Zagreb, Kroatien (damals Jugoslawien), 1973
»I Am Still Alive«, PM gallery, Mi2 Institute, u.a., Zagreb, Kroatien, 2000
»Ex Machina – Frühe Computergrafik bis 1979« Kunsthalle Bremen, 2007
»bit international. [Nove] tendencije. Computer und visuelle Forschung Zagreb 1961-1973« Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum, 2007
»bit international« ZKM Karlsruhe, 2008-2009
»Kubo-Oktaeder« u.a. publiziert in:
Computer-Grafik Galerie. Herbert W. Franke (1984)
Ex Machina – Frühe Computergrafik bis 1979. Hrsg. Wulf Herzogenrath und Barbara Nierhoff-Wielk (2007)
bit international. [Nove] tendencije. Computer und visuelle Forschung Zagreb 1961-1973. Hrsg. Neue Galerie Graz (2007)
bit international. [Nove] tendencije. Computer und visuelle Forschung Zagreb 1961-1973. Hrsg. Peter Weibel und Margit Rosen (ZKM, 2008)
A Little-Known Story about a Movement, a Magazine and the Computer´s Arrival in Art: New Tendencies and Bit International. Hrsg. Margit Rosen (2011)
Literatur zum Thema »Architektur und frühe Computergrafik«:
Computergraphik - Computerkunst. Herbert W. Franke (1985)
Computerdesign für Raum und Fläche. Ludwig Rase. In: NOVUM Gebrauchsgraphik August 8/1972
Geregelte Verhältnisse: Architektur und technisches Denken in der Epoche der Kybernetik. Georg Vrachliotis (2012)
Ingeborg M. Rocker: Berechneter Zufall. Max Benses Informationsästhetik. In: Kulturtechnik Entwerfen Hrsg.: Gethmann und Hauser (2009)
Die Architekturmaschine: Die Rolle des Computers in der Architektur. Herausgeber: Teresa Fankhänel, Andres Lepik (2020)
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